KolloquiA – Aus der Einleitung (Publikation 2001)

Text aus der Einleitung der Publikation “kolloquiA. Frauenbezogene / feministische Dokumentation und Informationsarbeit in Österreich. Lehr- und Forschungsmaterialien”, die 2001 von frida herausgegeben wurde.


Der Verein frida reagiert mit der Materialiensammlung kolloquiA auf die Geschlechterasymmetrie im österreichischen Informationswesen, wie sie sich in der Arbeitspraxis, in der theoretischen Grundlegung sowie in der Aus- und Weiterbildung zeigt. Mit dieser Erarbeitung von Forschungsgrundlagen und Lehrmaterialien soll eine multidisziplinäre Basis geschaffen werden, auf die theoretisch, praxisbezogen, bildungs- und frauenpolitisch zurückverwiesen werden kann.

Die Studie ist eine Bestandsaufnahme österreichischer frauenbezogener/feministischer Informationsarbeit mit spezifischem Interesse für die Aktivitäten der in die Vernetzungsinitiative frida eingebundenen Einrichtungen. Dadurch sollen die umfassenden Leistungen feministischer Informationsexpertinnen einer breiten (informationsberuflichen) Öffentlichkeit bewusst gemacht und zugleich variante Sichtweisen auf Informationsarbeit vorgestellt werden. Wie überhaupt es ein Anliegen ist, die geschlechterdemokratische “Sichtbarmachung” von Frauen im konkreten Arbeits- und Wissenschaftsgebiet zu fördern und beruflichen Geschlechterstereotypien, wie sie sich beispielsweise in der Verknüpfung von traditionellem Frauenbild und Bibliothekarinnenimage präsentieren, entgegenzuwirken. kolloquiA könnte als gemeinsames inhaltliches Fundament frauenbewusster/feministischer Informationsexpertinnen dazu beitragen, eigenständige alternative Werte und Definitionen zu schaffen und sich damit in einem Arbeitsfeld, das tief greifenden Veränderungen unterworfen ist, zu positionieren.

Unter anderem gilt es, im multidisziplinären Rahmen die bestehenden informations- und dokumentationswissenschaftlichen Forschungsansätze geschlechtsbezogen zu analysieren, sodass kritische Positionen, nötige Neuformulierungen und Ergänzungen ermöglicht werden. Ein weiteres Ziel ist das Vermitteln der Bedeutsamkeit frauenrelevanter / feministischer Informationsarbeit als Kultur- und Bildungsarbeit. In der Diskussion um den Einsatz Neuer Technologien wird viel zu wenig oder immer weniger aufgezeigt, dass frauenrelevante Informationsarbeit sich in einem konkreten historischen und soziokulturellen Kontext von weiblichen Arbeits-, Bildungs- und Lebenszusammenhängen entwickelt hat und nach wie vor befindet.

Seit den Achtzigerjahren nimmt ein technokratischer Bildungsbegriff überhand. War es zuvor das “klassische” bildungsbürgerliche Verständnis vom Schönen, Wahren und Guten, so wird Bildung nunmehr reduziert

“auf arbeitsmarktverträgliche Fertigkeiten; zur Zeit verstärkt auf den Erwerb von Know-how über Informationstechnologien und die damit verbundenen Transfers. […] Diesen beiden Bildungsbegriffen ist ein demokratisch-feministischer gegenüberzustellen, der alle Wissensfelder im weitesten Sinne als politische interpretiert und die Analyse von Bedingungen und wandelnden Funktionen von Wissensproduktion in rasant sich verändernden Macht- und Herrschaftsverhältnissen zum Ausgangspunkt seines bildungspolitischen Handelns nimmt” (Ursula Kubes-Hofmann: Warum ein feministisches Grundstudium. In: Dies. ; Elisabeth Wohofsky (Hg.innen): Sternzeit. Frauengenerationen und historisches Bewußtsein. Eine Dokumentation. Wien 1998: 145 f.).

Seit mehr als zwei Jahrzehnten durchläuft der Arbeits- und Wissenschaftsbereich des Informationswesens, der sich mit der “Verwaltung” von gesellschaftlichem Wissen befasst, enorme und rasante Veränderungsprozesse. Nicht nur, dass am bisherigen allgemein verbindlichen Kultur- und Wissensmodell mit seiner gedruckten Tradierung gerüttelt wird, auch in Bezug auf soziale Systeme zeichnen sich Irritationen ab. Ebenso sind jene Orte, die traditionellerweise die Verwahrung und Vermittlung des Dokumentenmaterials übernommen haben – Bibliotheken, Archive, Dokumentationsstellen – herausgefordert, die Dynamik und auch Konkurrenz der informationstechnologischen Möglichkeiten zu bewältigen und nutzbar zu machen.

In dieser Situation des Umbruchs und damit der Neu-Positionierung erhält die Genderperspektive besonderes Gewicht, um das zu verhindern, was die Geschichte der “öffentlich” und machtpolitisch relevanten Wissensproduktion und Wissensorganisation bisher vorgelegt hat: eine durchgängige Diskriminierung von Frauen. Gerade die aktuellen Zusammenhänge zwischen politisch-ökonomischen Interessen und dem Genderdiskurs im Konnex zur Informationstechnologie und telematischen Kultur haben mittlerweile in den feministischen Wissenschaften eine breite Debatte ausgelöst.

Mit diesem aktuellen Wandel korrespondiert die Berufsentwicklung, wonach die “klassischen” Berufe BibliothekarIn, ArchivarIn und DokumentarIn dem internationalen Trend folgend unter einem Sammelbegriff “Informationsberufe” subsumiert und um zahlreiche neue Berufs- bzw. Tätigkeitsfelder ergänzt werden. Die traditionelle Dreiteilung in Bibliotheks-, Dokumentations- und Archivwesen kann mittlerweile angesichts der informations-, kommunikations- und medientechnologischen Entwicklung nicht mehr bestehen bleiben. Die frühere Konzentrierung auf Sammeln, Ordnen und Bewahren von gegenständlichen Materialien an dafür vorgesehenen Orten weicht einem dynamischen Verständnis von Informationsvermittlung. Die “klassische” Informationsarbeit, die zum Großteil im staatlich-öffentlichen Bereich verankert ist, wird durch nicht-öffentliche, privatwirtschaftlich organisierte Initiativen aufgefüllt, die in andere und auch neue Tätigkeitsfelder hineinreichen. So fügen sich neue “multidisziplinäre” Berufsfelder zusammen, die von informations-, kommunikations- und medientechnischen Disziplinen, von der Publizistik und Kommunikationswissenschaft, von wirtschaftsbezogenen Theorie- und Praxisfeldern wie etwa Unternehmensführung und -organisation oder auch von unterschiedlich verstandenen und gewichteten informationswissenschaftlichen und -wirtschaftlichen Konzepten ihre Fundamente beziehen.

Obwohl sich mittlerweile Genderforschung in vielen Disziplinen, die eine Nähe zum Wissenschaftsgegenstand “Information” aufweisen – Publizistik, Kommmunikationswissenschaften, Linguistik, Soziologie, Geschichte oder auch in technischen Disziplinen wie Informatik etc. -, etabliert hat und obwohl zahlreiche Fraueninformationseinrichtungen existieren, wird frauenrelevanter/feministischer Informationsarbeit im System und Konzept der Aus- und Weiterbildung weder inhaltlich noch personell ein selbstverständlicher Platz zugestanden.
Aber nicht nur die Forcierung frauenbezogener Inhalte soll mit dem Projekt kolloquiA angezogen werden, sondern ebenso die konkrete personelle Förderung von Fachfrauen. Denn Expertinnen, die in höhere Hierarchieebenen der Aus- und Weiterbildung gelangen, haben wesentlichen Anteil an strukturellen Veränderungen, indem sie dort als Mentorinnen Förderungs- und Bewusstseinsarbeit im frauenpolitischen Sinn leisten können. Der Verein frida hat im Besonderen für diese Multiplikatorinnen die vorliegenden Grundlagen der frauenrelevanten/feministischen Informationsarbeit entworfen und will sie nun zur Vertiefung, Erweiterung und Vermittlung anbieten.

Die Mitarbeiterinnen und Autorinnen der kolloquiA kommen aus unterschiedlichen Arbeitszusammenhängen: Informationsexpertinnen aus Institutionen oder autonomen Fraueneinrichtungen der Projektepraxis, Fachfrauen aus der ministeriellen Verwaltung und dem informationsberuflichen Ausbildungsbereich, selbstständige Informationsfachfrauen “neuen” Designs und freie Wissenschaftlerinnen. Sie alle präsentieren unterschiedliche Perspektiven auf die Tätigkeitsfelder der Informationsarbeit.

Die thematisch vielfältige Bestandsaufnahme kolloquiA ist in fünf Abschnitte gefasst. Im ersten Teil wird eine Analyse des Szenarios “Information” unter Geschlechterperspektive durchgeführt. Diese sieht das “gesellschaftliche” Wissen, seine Herstellung, Verwaltung und Verteilung in einem androzentrischen Kreislauf von ökonomischer, politischer und symbolischer Macht, der Frauen die längste Zeit ausgeschlossen hat bzw. nach wie vor marginalisiert. Weiters wird der Kontext von Informationsarbeit und Neuen Technologien untersucht, da der Einfluss der IuK-Technologien rasante und tief gehende Veränderungen in der Berufspraxis mit sich bringt. Eine geschlechterbezogene Perspektive ist hier insofern wesentlich, da die gesellschaftlich konstruierte Zuschreibung von männlicher Techniknähe und weiblicher Technikdistanz Folgen für Berufswahl, Ausbildung und Berufspraxis hat.

In einem zweiten Schritt wird ein weiter Bogen von historischen Frauenbibliotheken des 18. und 19. Jahrhunderts, über Frauenarchive der bürgerlichen Frauenbewegung und Büchereien der Arbeiterinnenbewegung bzw. Volksbildungsvereine bis hin zu den feministischen Informationseinrichtungen der Neuen Frauenbewegung gespannt. Außerdem wird versucht, Frauen in der österreichischen Berufsgeschichte des Informationswesens zu verorten, ausgehend von der Entwicklung der “klassischen” Informationsberufe, über die Geschichte der österreichischen Druckerinnen und Verlegerinnen bis hin zu aktuellen Berufs- bzw. Tätigkeitsfeldern der Informations- und Wissensgesellschaft. Angeschlossen ist eine quantitative und qualitative Erhebung bezüglich der Mitfrauen des Vereins frida .

Im dritten Abschnitt geht es um konkrete Bestandsaufnahmen der frauenrelevanten/feministischen Informationsarbeit: die Analyse von Arbeitsstrukturen, die Beschreibung von “realen” Beständen und “virtuellen” Ressourcen, ihre Zugänglichkeit sowie inhaltliche Erschließung. Eine qualitative Befragung widmet sich den Bedürfnissen und Erwartungen von Benützerinnen in Fraueninformationseinrichtungen.

Der vierte Bereich analysiert das Aus- und Weiterbildungswesen in Österreich, wobei der Mangel an frauenrelevanten Lehrinhalten und die Geschlechtersegregation bei Lehrenden diagnostiziert wird, vor allem auch in jenen Ausbildungsinstitutionen, die zukünftige Berufsfelder der Informationsarbeit mitgestalten werden, also beispielsweise informations-, kommunikations- und medientechnologische FH-Lehrgänge. Weiters werden einige beispielhafte Projekte vorgestellt, die im Bildungsbereich der frauenbezogenen Informationsarbeit innovative Wege gegangen sind. Unter anderem werden die Frauenbibliothek der HBI Stuttgart, ein feministischer “Course” im Fachbereich “Library and Information Studies” der kanadischen Universität Alberta und auch das Engagement des Vereins frida präsentiert.

Den Abschluss der Studie bildet ein Serviceteil, der die einzelnen Einrichtungen mit kurzer Entstehungsgeschichte, den wesentlichsten Beständen, Arbeitsfeldern sowie “Produkten” in Form von Publikationen oder auch größeren Veranstaltungen (Forschungsprojekte, Ausstellungen, Tagungen etc.) charakterisiert.

Bislang gab es noch keine systematische Auseinandersetzung mit der Geschichte, den Theorien und Methoden sowie Perspektiven österreichischer frauenbezogener/feministischer Informationsarbeit. Die vorliegende Bestandsaufnahme hat nicht den Anspruch, “die” Theorie zur feministischen/frauenrelevanten Informationsarbeit in einem kompakten Forschungsdesign zu entwerfen. Vielmehr liefern die verschiedenen Beiträge jeweils andere Erfahrungen und Ergebnisse von Informationsarbeit, sie können jedoch zu einem gemeinsamen losen Konzept gefasst werden.

In diesem Sinn ist kolloquiA in der Struktur eines Hypertextes “gedacht” und setzt sich aus “Texturen” zusammen: ein Gewebe aus differenten Perspektiven und unterschiedlichen Prämissen, eine Heterogenität, die letztlich doch strukturiertes Wissen präsentiert. Auf diese positiv besetzte, weil gestaltende Metaphorik des “Gewebten” greifen feministische Informationstheoretikerinnen gern zurück, wie etwa hier die Cyberfeministin Sadie Plant:

“Textilien kommunizieren zwar auch durch die Bilder, die auf der Oberfläche des Stoffes zu sehen sind, doch dies ist nur der oberflächlichste Sinn, in dem sie Daten speichern und verarbeiten. Weil es keinen Unterschied zwischen dem Prozeß des Webens und dem gewobenen Muster gibt, dauern Stoffe fort als Aufzeichnungen der Prozesse und Umstände, die in ihre Herstellung eingegangen sind: wie viele Frauen an ihnen gearbeitet, welche Techniken sie verwendet, welche Fertigkeiten sie eingesetzt haben. Das sichtbare Muster ist nicht zu trennen von dem Prozeß, in dem es produziert wurde. Programm und Muster gehen ineinander über” (Sadie Plant: nullen und einsen. Digitale Frauen und die Kultur der neuen Technologien. Berlin 1998: 73).