Buchpräsentation (2001) – Brigitte Geiger: Prinzipien und Strukturen feministischer Informationsarbeit


Beitrag “Prinzipien und Strukturen feministischer Informationsarbeit” der Kommunikationswissenschafterin Dr.in Brigitte Geiger bei der Buchpräsentation von “kolloquiA” am 10. Juli 2001

kolloquiA im Kontext
Frauen/Lesbenarchive
Institutionalisierung
Feministische Informationsarbeit
Dokumentieren der Bewegungsgeschichte


Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und frida-Frauen!

Ich habe die Ehre, aber auch die schwierige Aufgabe, Ihnen in einem kurzen Vortrag zumindest einen kleinen Einblick in das in der kolloquiA auf 600 Seiten vielfältig und materialreich bearbeitete Feld frauenbezogener/feministischer Dokumentation und Informationsarbeit zu geben.

Zunächst möchte ich mich kurz vorstellen: Mein fachlicher und politischer Hintergrund ist meine langjährige ehrenamtliche Mitarbeit in STICHWORT. Archiv der Frauen- und Lesbenbewegung sowie mein Interesse als Kommunikationswissenschafterin an Strukturen der Frauenbewegungen und feministischer Öffentlichkeiten.

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Kontext und Bezugspunkt frauenbezogener/feministischer Informationsarbeit sind die Emanzipationsbestrebungen von Frauen, die Kritik an hierarchischen Geschlechterverhältnissen und patriarchalen-androzentrischen Strukturen von Öffentlichkeit, Politik, Wissenschaft und Bildung sowie Defizite des bestehenden Informationswesens. Ihre Aufgabe und Zielsetzung ist das Sichtbarmachen, Bewahren und Tradieren von Frauengeschichte und Frauenwissen. Frauenbezogene/feministische Informationsarbeit stellt für Frauen relevante Informationen bereit und versucht, genderspezifischen Informationen in der Gesellschaft und in politischen Entscheidungsprozessen Beachtung zu verschaffen.

Die Termini “frauenbezogen” und “feministisch” verweisen dabei auf zwei miteinander verbundene, aber nicht identische Perspektiven. Frauenbezogene Informationsarbeit bedeutet, “Frauen”, “Gender”, Geschlechterverhältnisse in den Mittelpunkt von Informationsprozessen zu rücken, feministisch betont darüber hinaus die politische Perspektive: Bei aller Offenheit des Begriffs “feministisch” – und der Vielfalt der Feminismen – verweist er auf eine grundlegende Macht- und Herrschaftskritik und damit verbundene Prinzipien und impliziert so ein spezifisches Verständnis von Informationsarbeit als einem ganzheitlichen, kollektiven und wechselseitigen Prozess, der an politischer Veränderung orientiert ist.

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Fraueninformationseinrichtungen, also Frauen- und Lesbenarchive, -bibliotheken, -dokumentations- und -informationszentren – ich verwende im Folgenden auch die gängige Kurzbezeichnung Frauen/Lesbenarchive –, entstanden weltweit zunächst als “Selbsthilfeeinrichtungen” von Einzelfrauen und Basisinitiativen im Kontext der Frauenbewegungen und als Teil einer feministischen (Gegen-)Kultur. Mit dem Ausbau der Frauen- und Geschlechterforschung und der Institutionalisierung von Frauenpolitik entstehen Fraueninformationseinrichtungen zunehmend auch integriert in die großen “Mainstream”-Bibliotheken und -Informationsservices (wie etwa Ariadne an der ÖNB) oder auch im Kontext von nationalen und internationalen Frauenförder- und Gleichstellungsinstitutionen.

Das frauenbezogene und feministische Informationswesen präsentiert sich so heute in einer großen Bandbreite an Arbeitsbereichen und Organisationsformen, an unterschiedlichen politischen und gesellschaftlichen Kontexten. Ich konzentriere mich in den folgenden Anmerkungen zu Prinzipien und Strukturen feministischer Informationsarbeit vor allem auf die Praxis autonom organisierter, eigenständiger Fraueninformationseinrichtungen, von wo die Entwicklung eines frauenbezogenen Informationswesens ja auch ausgegangen ist, und auf den deutschsprachigen Raum.

Frauen/Lesbenarchive verstehen sich als Teil der feministischen Bewegungen und des kollektiven Projekts der Transformation hierarchischer Geschlechterverhältnisse. Damit beziehen sie sich trotz der Vielfalt an Feminismen und der Ausdifferenzierung von Perspektiven und Organisationsformen auf eine gemeinsame Basis, erwarten und ermöglichen vor diesem Hintergrund “Mitarbeit und Mitdenken” und begreifen sich “als Einrichtungen kollektiven Sammelns und Nutzens frauenbezogener Literatur” (so etwa das Berliner FFBIZ in den 80er Jahren).

Als Orte der Selbstorganisation von Frauen und öffentlich sichtbare Bezugspunkte einer kollektiven Geschichte und Identität definieren sie sich als ausschließliche oder zumindest vorrangige Frauenorte.

Diese Selbstverortung bestimmt auch das Verhältnis zu den Benutzerinnen: Die ersten Frauen/Lesbenarchive entstanden in den siebziger und frühen achtziger Jahren im Kontext einer noch relativ klar konturierten Bewegung mit kompakten Kommunikations- und Handlungszusammenhängen (etwa in den Frauenzentren) und noch relativ starker gemeinsamer Identität – trotz erster Differenzierungsprozesse. Betreiberinnen und Benützerinnen kamen überwiegend aus diesem Kontext.

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Mit der Verbreitung und Diffundierung feministischer Ideen, mit der Professionalisierung und partiellen Institutionalisierung von Feminismus, Frauenforschung und Frauenpolitik in den achtziger und neunziger Jahren erweiterte und differenzierte sich der Kreis der Adressatinnen und Benützerinnen von Fraueninformationseinrichtungen. Ein geteilter Bezug zu feministischer Theorie und Praxis kann heute nicht mehr vorausgesetzt werden.

An den Universitäten z. B. führt die – wenn auch immer noch randständige – Institutionalisierung von Frauenforschung und feministischer Wissenschaft dazu, breitere StudentInnengruppen mit feministischen Inhalten zu konfrontieren. Diese treten ihnen allerdings zunehmend als regulärer Lern- und Prüfungsstoff entgegen, eine persönliche oder politische Involvierung muss damit nicht verbunden sein. Dies schlägt sich natürlich auch im Verhältnis zur verwendeten Literatur und in den Ansprüchen an eine effiziente Literaturbeschaffung nieder – ein Trend, der durch die neuen Informationstechnologien noch verstärkt wird. Gleichzeitig richten insbesondere feministisch geprägte Nutzerinnen nach wie vor andere Ansprüche und Erwartungen an Fraueninformationseinrichtungen, wie dies auch in der kolloquiA-Nutzerinnenbefragung deutlich wurde.

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Frauen/Lesbenarchive agieren heute also in einem differenzierten und disparaten Umfeld – und sie präsentieren sich darin in ihrer Mehrheit als professionelle Service- und Informationsdienstleistungseinrichtungen und gleichzeitig als politische Projekte. Das bedeutet u. a., dass sie sich nicht ausschließlich an Kriterien und Erwartungen der Effizienz und schnellen Informationsbeschaffung oder an Bedürfnissen nach leicht konsumierbarer Information orientieren, sondern an der Gestaltung und Ermöglichung ganzheitlicher und kontextualiserter Informationsprozesse.

Dazu gehört ein Beratungs- und Betreuungsangebot, das es ermöglicht, auf die einzelne Benützerin und ihre Informationsbedürfnisse einzugehen, und das die Nutzerinnen bei ihrer Informationssuche unterstützt, z. B. durch Hinweise auch auf weniger nahe liegende Materialien oder quer liegende Informationen. Die Nutzerinnen von Fraueninformationseinrichtungen können so von den Erfahrungen und dem Wissen der Projektfrauen profitieren, und idealerweise kommt ein interaktiver Prozess in Gang, der Informationen auch wieder zurückfließen lässt.

Beratungsangebote und Niederschwelligkeit sind Bestandteile eines Konzepts, das Informationsarbeit als einen aktiven Vermittlungsprozess versteht, wofür Offenheit und Zugänglichkeit des Informationsangebots wesentliche Voraussetzungen sind. Zugänglichkeit und Offenheit entstehen aus vielen Elementen: durch die Struktur des Informationsangebotes, die Gestaltung des Ortes, der Nutzungsmöglichkeiten und des Verhältnisses zu den Nutzerinnen, durch die Präsentation in der Öffentlichkeitsarbeit und durch direktes Ansprechen von Zielgruppen.

Frauen/Lesbenarchive – und das gilt auch für universitär verankerte Einrichtungen und Einrichtungen, die sich als wissenschaftliche Bibliotheken verstehen – richten sich als Schnittstellen zwischen Wissenschaft und Bewegung und als Vermittlerinnen zwischen Theorie und Praxis gleicherweise an ein nicht-akademisches Publikum, auch wenn Studentinnen und Wissenschaftlerinnen die größte Benutzerinnengruppe stellen.

Dabei ist es besonders wichtig, durch eine aktive und bewusste Politik und Orientierung, gesellschaftlichen Ausgrenzungen entgegenzuarbeiten und auf die Zugänglichkeit und Offenheit gerade auch für besonders marginalisierte Frauengruppen zu achten.
Namensgebungen mit Zusätzen wie “FrauenLesben” sind sichtbare Zeichen gegen die herrschende Homophobie und Diskriminierung lesbischer und schwuler Lebensweisen und signalisieren gleichzeitig lesbischen Frauen, dass ihren Informationsinteressen hier Rechnung getragen wird.

Weniger erfolgreich (und weniger offensiv) war der Fraueninformationsbereich, meiner Einschätzung nach, bisher in einer Öffnung der Einrichtungen für Migrantinnen – trotz der auch in Frauen/Lesbenarchiven geführten Debatten um Rassismus und nationalistische Ausgrenzungen, dem breiten Raum, den entsprechende Literatur und anti-rassistische Theorie in den Beständen einnimmt, und einiger einschlägiger Einrichtungen (wie z.B. der Bibliothek und Dokumentationsstelle Frauen & “Dritte Welt” der Frauensolidarität).

Aufgrund ihrer ganzheitlichen Orientierung verbinden Fraueninformationseinrichtungen im Informationswesen traditionellerweise getrennte Bereiche wie Archiv, Bibliothek, Dokumentation und Informationsvermittlung, in einer der jeweiligen Aufgabenstellung und Schwerpunktsetzung entsprechenden Mischung, zu einem umfassenden Informationsangebot.

Darüber hinaus verstehen sich Frauen/Lesbenarchive als politische Projekte nicht nur als Orte des Sammelns und Aufbewahrens, sondern ihre Praxis umfasst auch Elemente aktiver Vermittlung und Nutzbarmachung des Informations- und Literaturangebots für individuelle und kollektive Lernprozesse und die Weiterentwicklung feministischer Theorie und Praxis. Diese Integration von Politik, Forschung, Bildung und Dokumentation ist besonders offensichtlich bei themenspezifischen Dokumentationen, die im Kontext entsprechender Frauenprojekte und -initiativen entstanden, z. B. in den Frauengesundheitszentren in Berlin und Graz oder in der Wiener Frauensolidarität. Hier ist der Dokumentationsbereich integrierter Bestandteil der politischen, beruflichen und wissenschaftlichen Arbeit.

Als Archive einer sozialen Bewegung haben Fraueninformationseinrichtungen nicht nur eine Funktion als Quellensammlungen für künftige Historikerinnengenerationen, sondern sie fungieren auch als aktuelle Informationszentren und unterstützen als Informationsdrehscheiben die Netzwerke innerhalb der feministischen Bewegungen.

In besonderer Weise gilt dies für Fraueninformationseinrichtungen in Afrika, Asien oder Lateinamerika: Meist im Rahmen so genannter Resourcecenters untergebracht, agieren sie sehr stark aktions- und transformationsorientiert und als aktive Informationsvermittlerinnen, welche Informationsbedürfnisse erheben, Daten erfassen, Informationen übersetzen und verbreiten, um so zum Empowerment von Frauen und gesellschaftlichem Wandel beizutragen.

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Zentral ist die Verankerung in den jeweiligen Bezugsgruppen auch – und damit komme ich zu meinem letzten Punkt – für die Informationsbeschaffung und den Aufbau der Sammlungen. Schließlich arbeiten Frauen/Lesbenarchive nicht im Rahmen zentraler Organisationen und geregelter Abgabepflichten, sondern sie entstehen aus der Initiative und dem Engagement einzelner Frauen. Sie agieren in einer heterogenen und dezentral organisierten Bewegung, beziehen sich auf einen (immer noch) wenig institutionalisierten Forschungsbereich und dokumentieren eine Geschichte und ein Wissen, für die auch das so genannte Private und Nicht-Öffentliche relevant ist bzw. die lange Zeit und zum Teil immer noch tabuisiert war und ist.

Ihre Informationsangebote und Sammlungen können daher nur in enger Wechselwirkung mit den jeweiligen Bezugsgruppen (in der Region, der FrauenBewegung und -politik oder der Wissenschaft) aufgebaut werden und erfordern Sammlungsstrategien, welche auf kollektiver Beteiligung basieren. Die Nähe zu den relevanten Communities ist gleichzeitig eine wichtige Orientierungshilfe bei der Auswahl und Strukturierung des Informationsangebots und erhöht durch diese Kontextualisierung seine Relevanz und Aktualität.

Der Aufbau und die Pflege entsprechender Informations- und Kontaktnetze sowie eine aktive und offene Öffentlichkeitsarbeit und Informationspolitik sind somit zentrale Bestandteile von (selbst organisierter) Fraueninformationsarbeit. Dazu gehört erstens, Selbstverständnis und Aufgaben eines Frauen/Lesbenarchivs an die jeweiligen Frauenöffentlichkeiten zu vermitteln, Begeisterung für die Bewahrung und Zugänglichmachung von Frauengeschichte und Frauenwissen zu wecken und das Bewusstsein bei einzelnen Frauen und Frauengruppen dafür zu fördern, dass die Produkte ihrer Aktivitäten aufhebenswert und wichtig sind als Bausteine kollektiver Frauen- und Lesbengeschichte.

Für die Kooperation einer Vielzahl von Frauen und Frauengruppen wichtig sind zweitens die Bekanntheit und das öffentliche Image des Archivs, seine Präsenz und Selbstdarstellung in den verschiedenen Öffentlichkeiten und seine Integration in informelle und formelle Netzwerke. Notwendig ist drittens, durch Transparenz der Organisationsstrukturen und Arbeitsweisen sowie klare und offen gelegte Benützungsregelungen eine Vertrauensbasis zu schaffen.

Eine solche aktive Öffentlichkeitsarbeit erweist sich z. B. als unverzichtbar für Dokumentationen von Frauengruppen und -initiativen, wie sie etwa STICHWORT, ArchFem oder das DOKU Graz betreuen. Die Bekanntheit der Einrichtung sichert zunächst einmal die regelmäßige Zusendung von “öffentlichen” Quellen wie Veranstaltungsankündigungen, Foldern oder Zeitungen. Für interne oder halböffentliche Materialien wie Protokolle, Vortragsmanuskripte oder Konzeptpapiere ist ein Archiv auf ein gut funktionierendes Kontaktnetz angewiesen, das gezieltes Nachfragen erleichtert und gewährleistet, dass dieses Quellenmaterial dem Archiv angeboten wird. Besondere Relevanz erhalten diese Kontakte im Falle von Gruppenauflösungen zur Sicherung der Nachlässe.

Allerdings sind in der Praxis der Beteiligung und Präsenz in den verschiedenen Öffentlichkeiten und Netzwerken natürlich Grenzen gesetzt – nicht zuletzt durch die personellen und zeitlichen Kapazitäten, aber auch durch die finanziellen Ressourcen. Notwendig für eine inklusive Informationsarbeit sind daher eine regelmäßige kritische Reflexion der Positionierungen und Kontaktnetze in Bezug auf implizite oder explizite Ein- und Ausschlüsse und eine konstante und aktive Kommunikationspolitik, die immer wieder einzelne Bereiche und Gruppen gezielt adressiert.

Ein Beispiel für diese Zusammenhänge ist etwa die Dokumentation der Lesbenbewegung im STICHWORT: Zwar war es von Beginn an ein Anliegen des Projekts, Lesben und die Anliegen und Aktivitäten der Lesbenbewegung in den Sammlungen zu repräsentieren und sichtbar zu machen, aber erst 1990 wurde dieser Anspruch auch im Projektnamen (Archiv der Frauen- und Lesbenbewegung) sichtbar gemacht und wurden darüber hinaus Lesben explizit zur Mitarbeit eingeladen. Die daraus folgende stärkere Integration in die lesbisch-feministischen Netzwerke hat nicht unwesentlich zum Ausbau der entsprechenden Bestände beigetragen.

Auch die regionale Verankerung eines Archivs erleichtert diesen aktiven Austausch. Deshalb ist für das frauenbezogene Informationswesen ein dezentrales Netz von Einrichtungen von Vorteil – wie es beispielsweise in Deutschland oder den Niederlanden und seit einigen Jahren, allerdings mit Lücken, auch in Österreich existiert.

Ich hoffe, dass mein – notwendigerweise kursorischer – Blick auf die Praxis von Fraueninformationseinrichtungen einen Eindruck von deren Beitrag zur Sicherung und Bereitstellung von Fraueninformation sowie zu einer macht- und herrschaftskritischen Reflexion von Information und Informationsarbeit vermitteln konnte und dass er Sie neugierig machte auf weitere Lektüre in der kolloquiA.

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